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Freimaurerei und Aberglaube

Der Rabe symbolisiert den Aberglauben, mit dem die Freimaurerei oft begnet.

In einem Gespräch mit dem Redakteur des Jahrbuchs der QC, Br. Michael Wehrhan, erfuhr ich, dass auch sein Urgroßvater, Karl Wehrhan (1871-1939), Freimaurer in Detmold gewesen ist. Er war Lehrer, Schriftsteller und Sprachforscher. Seine besondere Liebe galt der plattdeutschen Sprache und ihrer Pflege – darüber hinaus veröffentlichte er viele Beiträge in fast allen volkskundlichen Zeitschriften. Zu seinem volkskundlichen Werk gehört auch das Buch: „Die Freimaurerei im Volksglauben – Geschichten, Sagen und Erzählungen des Volkes über die Geheimnisse der Freimaurer und ihre Kunst“, Detmold 1921. Die folgenden Auszüge aus der Einleitung seines Buches haben programmatischen Charakter und erklären sehr deutlich den Inhalt seines Werkes: „Das Volk hat immer die Neigung gehabt, alles, was es nicht mit seinem Verstande erfassen konnte oder was für die meisten aus irgendeinem Grunde eigenartig erschien, mit dem Nebelschleier des Geheimnisvollen und Wunderbaren, des Übernatürlichen und Unheimlichen zu umspinnen.“ … weiter … „Einen kleinen Ausschnitt aus der schier unübersehbare Fülle derartiger Gebilde der Volksdichtungen bieten die vorliegenden Sagen oder Geschichten, die wiederum nur eine Auswahl aus einer reichen Sammlung des Volksglaubens über die Freimaurerei darstellen“ … und schließlich … „Was man von den Freimaurern glaubt und zu wissen vermeint, erzählt man nicht offen, sondern raunt es sich geheimnisvoll zu. Was von ihnen umgeht, ist wie ein Wasserlauf, der unter der Oberfläche hin-rieselt, nur dem Eingeweihten bewusst, aber jedem Fremden verborgen. Wer Freimaurersagen aufspüren, freimaurerischen Aberglauben erfahren will, muss schon sehr vertraut sein mit dem Volke, denn niemand ist misstrauischer als der Mann des Volkes einem ihm nicht ganz bekannten Mitmenschen gegenüber.“

Die Erzählung aus dem Buch von K. Wehrhan, welche weiter unten angeführt wird, stammt aus den „Monatsblätter des Touristenklubs für die Mark Brandenburg“, XXV, Berlin 1916, Nr. 1–3, und bezieht sich auf „Die Berliner Freimaurer“ und ihr Logenhaus. Doch seien wir nicht voreilig, wenn wir vermeinen, in der Erzählung das Großlogenhaus der 3WK erkannt zu haben, wo auch die diesjährige Jahrestagung der QC Anfang Juli stattgefunden hat. Der Bezug ist natürlich vorhanden, in der Erzählung jedoch handelt es sich nicht um das Großlogenhaus der 3WK in der Heerstraße 28, sondern um das Haus in der Splittgerbergasse, das nicht mehr existiert – es war die freimaurerische Heimat erwähnter Großloge von 1800 bis 1935.

Die Berliner Freimaurer

„Über dem Tore des Berliner Hauses der Freimaurer steht ein Wort, das in ihrer Geheimsprache so viel bedeutet wie Versammlungshaus. Ganz oben ist ein Wappen angebracht. Es zeigt drei Sterne. Das ist aber nicht das richtige Wappen. Die Leute sollen nur damit irregeführt werden. Die Freimaurer haben auch ein richtiges Wappen. Darauf sind drei Erdkugeln mit einem darüber fliegenden Adler zu sehen. Den Adler haben sie deshalb in ihr Wappen verliehen bekommen, weil sie 1848 beim Umsturz einen Prinzen versteckt und gerettet haben. Die drei Erdkugeln sollen bedeuten, dass die Freimaurer nur in Asien, Afrika und Europa leben. In Amerika und Australien gibt es keine Freimaurer. Es bedeutet auch Sonne, Mond, Sterne oder Himmel, Hölle, Erde, die die Freimaurer sich untertan machen wollen¹. Das heimliche Wappen ist in ein goldenes Petschaft² geschnitten und wird nur beim Siegeln von geheimen Urkunden benutzt …

Kam früher ein Freimaurer, der in die Loge hineinwollte, so ging das eiserne Tor von selbst auf und zu. Kam aber ein anderer Mensch, blieb das Tor verschlossen, und kein Klopfen nützte. Alles blieb tot und still. Jetzt haben sie einen Pförtner anstellen müssen, das hat die Feuerwehr verlangt. Früher reichte der Garten bis an den alten Festungsgraben, der an der Waisenbrücke in die Spree ging. Aus dem Logenhause führte ein unterirdischer Gang zum Graben. Durch den Gang wurden die Verräter gebracht, wenn man sie im Graben ersäufte. Wenn einer Freimaurer wird, dann wird ihm zur Warnung immer die Tür zu dem Gange gezeigt, damit er sich vor Verräterei hüten soll. Heute machen es die Freimaurer mit den Verrätern anders, noch schrecklicher; aber man kann nicht dahinterkommen.

Im Sommer 1913 bot eine alte Frau einer Großberliner Loge ein verkrüppelt geborenes Kind zum Kauf an. Auf Befragen erklärte sie, dass das unglückliche Wesen nach Ausspruch des Arztes nur noch kurze Zeit zu leben hätte. Es wäre eine Qual für sich selbst und ebenso für die mit zahlreichen Kindern gesegneten Eltern, die sich in ärmlichen Verhältnissen befänden. Sie hätte gehört, dass sich die Freimaurer andere Menschen kauften, um sich vom Tode zu retten, darum brächte sie das Kind; denn durch den Ankauf wäre allen dreien geholfen: Das Kindchen würde im Laufe des Jahres von seinen Leiden erlöst werden, die Eltern würden durch die Geldsumme unterstützt, und der zum Sterben bestimmte Freimaurer könnte noch länger am Leben bleiben, worüber er sich gewiss freuen würde“.

Geschichten wie diese, die den Volksglauben über die Freimaurerei in Deutschland dokumentieren, vereinigte Karl Wehrhan in seinem Buch. Doch war er kein Einzelkämpfer: Bereits 1904 hatten sich in Leipzig die regionalen volkskundlichen Vereine zum »Verband deutscher Vereine für Volkskunde« zusammengeschlossen. Wollte die Volkskunde konkurrenzfähig werden und bleiben, musste sie ihre Kräfte zusammenfassen – schließlich wurde 1919 in Hamburg der erste Lehrstuhl für deutsche Volks- und Altertumskunde gegründet. In einer Zeit also, die offenkundig durch das aufgeklärt-rationale Denken charakterisiert ist, entstehen Geschichten, Erzählungen, die diesem Geist zu widersprechen scheinen.

Zum Abschluss stellt sich die Frage, ob man aus einem Unbehagen an der strukturierten physikalischen Welt des 20. Jahrhunderts heraus von einer neuen Periode des Aberglaubens, des Ausbruchs aus dem normierenden Zwang der Industriegesellschaft und des Aufbruchs ins Irrationale sprechen kann? Man denke etwa an das gegenwärtige Geschäft mit okkultistischer, spiritistischer Literatur oder an die Flucht in Mystik und Magie, welche den Wunsch nach einem Freiraum erkennen lassen, in dem neben mathematischen und physikalischen Methoden wieder Platz für das Unerklärliche, das Widersinnige ist.

¹ Hier vermischt sich Wahrheit und Dichtung – die drei (Welt)Kugeln, das Zeichen, das das Großlogenhaus schmückte und schmückt, wird mit dem Siegel der Großloge verwechselt. Letzteres besteht aus dem Preußischen Wappen (Preußischer Adler mit Schwert und Reichsapfel, verliehen der Großloge von ihrem Gründer, Friedrich II.) über den drei Weltkugeln und dem musivischen Pflaster. 

² Ein(e) Petschaft ist ein Messingstempel mit vertiefter Gravur und einem Griff zum Hart- und Weichsiegeln.

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